Kölner Stadtanzeiger 17.09.2007 Ressort: KU Auf der langen Reise zum Irgendwo Zwischen Andacht und Performance: Die Kölner Musiknacht erfreute mit einem vielfältigen Programm Zeitweise luden 25 Spielorte zugleich zu ihren Attraktionen. VON GERHARD BAUER Der Tag strahlte noch hell, als die "Kölner MusikNacht" begann, und so brodelte es erst nur auf den Straßen und Plätzen. Daher reckten im Domforum wenige Neugierige ihre Hälse, und dies, obwohl es da bereits einen ersten, kaum überbietbaren Höhepunkt gab. Denn hier duettierte das kleinste und höchste Instrument mit dem größten und tiefsten, hier zwitscherten und zupften sich Blockflöte und Kontrabass die Pointen zu. Nadja Schubert und Sascha Delbrouck ist diese aparte Kombination zu danken, und der Erfolg, den das Duo seit seiner Gründung im Jahre 1996 zu genießen gewohnt ist, war auch im kleinen Kreise greifbar. 18 Uhr war die Stunde null der musikalischen Wanderung durch Köln, und schon die erste dieser auf jeweils drei Viertelstunden portionierten Etappen hatte es in sich. Da brauchte einen hurtigen Stiefel, wer nicht nach beschaulichem Verweilen, sondern nach voller Erfüllung strebte. Vom Domforum ging´s also ins Bechstein-Centrum, wo das Ensemble "tra i tempi" mit neuer Kammermusik Stille und Versenkung übte, von dort zu Vokalmusik von Bach und Brahms in die Antoniterkirche (Bach-Verein), von dort - aber da war ja schon die zweite Stunde des Musikmarathons angebrochen. Es wurde Zeit, einen Plan anzulegen, einen Plan zur Bewältigung des Angebots. Aber je später die Stunde, desto dichter das Programm, und wenn in der Hauptmusizierzeit 25 Spielorte pro Stunde zur Wahl standen, musste auch bedacht werden: Wie schnell werden Kopf, Ohr und Bein müde, verflacht die Aufnahme- und Erlebnisfähigkeit? Manch ein Besucher, man entnahm es Gesprächen am Rande, litt unter diesem Dilemma. Der Geist war indes noch frisch, als eine kleine Runde durch drei Kirchen lockte - nach der Antoniterkirche, wo nur ein Stehplatz zu ergattern war, nach St. Peter und St. Andreas. Peter Bares, eine lebende Legende von alttestamentarischer Hoheit, ließ die Klänge der Avantgarde-Orgel explodieren und fluten, das "Forum Vocale Köln" exemplifizierte A-cappella-Musik von Josquin bis Messiaen. Völlig andere Emotionen riefen Gruppen aus dem Iran und dem Irak im Sendesaal des WDR wach. Der in Köln schon gut bekannte Frauenchor "Buna" von Maryan Akhondy entlud, farbenprächtig gewandet wie stets, Fröhliches aus dem persischen Alltag, und das war ein Singen, Trommeln und Lachen, dass die Herzen vor Freude schier barsten. Und im Anschluss daran weitete das um den Sänger Saad Thamir gruppierte irakische Quartett "Lagash" die Freude an den mikrointervallischen Wundern asiatischer Musik noch beträchtlich. Nichts lag für den Enthusiasten der "Kölner MusikNacht" demzufolge näher, als seinen Horizont einschlägig zu bereichern: in der Musikhochschule (das Indische "Yatra") und in der Galerie Rachel Haferkamp (die Tanzimprovisation "SichtLaut"). An beiden Orten waren die Programme philosophisch verbrämt, wobei sich als Gemeinsamkeit der Ziele ein "Woher?" und ein "Wohin?" der Musik herauskristallisierte. So wird in "Yatra", was auf Deutsch Reise oder Pilgerfahrt heißt, ein Treffen im Irgendwo arrangiert, und weil die wichtigste Klangquelle das mit mehr als 60 Gongs ausgestattete Ensemble "Labyrinth" war, verlief die Reise in ihrer dröhnenden Wucht wahrlich spannend. In "Sichtlaut" hat der brasilianische Tänzer Geraldo Si für seine spontan anmutenden, aber sicher genau kalkulierten Soli faszinierende Figuren ersonnen; zwei Instrumentalisten folgten ihm mit all seinen Verschränkungen aufmerksam und sensibel. Mittlerweile war es fast Mitternacht geworden, der Schritt wurde schleppend und träge der Verstand. Doch des Umstands, dass sich ein Kreis geschlossen hatte, wurde der Vagabund durchs nächtliche Köln immerhin noch erstaunt gewahr: Wie zu Beginn im Domforum, waren es auch bei Haferkamp die Flöte (Angelika Sheridan) und der Kontrabass (Peter Jaquemin), die den Ton angaben. Doch welch ein Unterschied im klingenden Detail, in der gedanklichen Absicht, im gemütsmäßigen Weiterwirken! Aber noch war der schöne Abend nicht zu Ende. Denn als die Kölner am Ebertplatz, jeder für sich, die Unwägbarkeiten der KVB besangen, fiel eine vergnügte Gruppe aus Düsseldorf auf. Diese Leute erzählten, dass sie vom langweiligen Tag der offenen Tür im Opernhaus ihrer Heimatstadt zur MusikNacht beim lieben Nachbarn geflohen waren. Wenn das nicht das Tüpfelchen auf dem i für die Musikstadt Köln war!