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Peter K. Kühnel

Wenn Sitar auf Schlagzeug trifft

Von DIRK RISSE, 21.05.09, 11:53h

Peter K. Kühnel liebt die großen Klünge. 60 Gongs, Glocken und Schellen hat der Ex-Gitarrist von Nina Hagen für das Konzert in der Lutherkirche aufgebaut. Er will die Klangwelten des Fernen Ostens und der westlichen Jazz- und Rockmusik zu einer Collage zusammenbringen.

Peter K. Kühnel
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Um meditative Klänge zu erzeugen, greift Gitarrist Peter K. Kühnel auch schon einmal zur Flöte. (Bild: Risse)
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Um meditative Klänge zu erzeugen, greift Gitarrist Peter K. Kühnel auch schon einmal zur Flöte. (Bild: Risse)
Innenstadt
Minimalismus? Nicht mit Peter K. Kühnel. Schon das Arsenal an Musikinstrumenten, das der Ex-Gitarrist von Nina Hagen beim Konzert in der Lutherkirche aufgetürmt hat, wirkt einigermaßen bombastisch. 60 Gongs, Schellen und Glocken hängen vor einem umgestürzten Kreuz, dazu gibt es Gitarren, Violinen, Synthesizer, Schlagzeug und eine Tanpura, ein indisches Saiteninstrument. Überall baumeln Kabel hinab, ein Meer aus Metall, Draht und Elektrik. So hätten die Macher von «Star Trek» vermutlich das Set zu einer Kommandozentrale eines durchgeknallten, esoterischen Herrschers einer weit entfernten Galaxie entworfen. Man kommt sich vor wie in einem ostasiatischen Museum für Musikinstrumente.

Der Mann hat sich aber auch keine leichte Aufgabe gestellt. Nichts weniger als die Klangwelten des Fernen Ostens und der westlichen Jazz- und Rockmusik will Peter K. Kühnel zu einer Collage zusammenbringen. «Yatra» nennt er seine meditative Weltmusik, was im Sanskrit «Reise», aber auch «Zusammenkunft» bedeutet. Musikalische Impressionen aus Vietnam, Tibet und Thailand und die Eindrücke seines Studienaufenthaltes an der indischen Sangeet Research Academy bei Pandit Arvind Parikh, Raffat Khan und Ustad Hidayat Khan hat Kühnel in seiner Arbeit zusammengebracht. Gongschläge treffen da auf E-Gitarren, Sitar auf Schlagzeug. «A Million Miles Of Sound» heißt passenderweise denn auch das Konzert, das das Quartett Kühnel, Tino Löwe, Simo und Günter Janocha im Rahmen des «Sommerblut-Festivals» im Gotteshaus in der Südstadt geben.

So viel Geografie, so viel geistiger Raum will episch und wuchtig wiedergegeben werden. In «Shakti», einer Reverenz an John Mc Laughlins gleichnamiges Projekt, fällt Kühnels Gitarre in eine sphärische Klangmalerei ein. Hart, melancholisch und doch verträumt. Dann rotten sich Schlagzeug, Violine und Gitarren zusammen und strecken mit einem Tongewitter die meditativen Klänge nieder. In «Der weiße Tod» ist Kühnel dann nicht mehr weit von den frühen Einstürzenden Neubauten entfernt. Tierschreie und Kreissägen lässt er in das Gotteshaus krachen, die Gongs bearbeitet er mit einem Hammer und vom Band tönt eine ironische Stimme: «Die Zukunft, meinen Sie, gehört Ihnen? Ein Tier wird herrschen.»

Die Nähe kommt nicht von ungefähr. Schon 1995 hat Kühnel mit 60 Musikern das theatrale Spektakel «Nietzsche» in Dresden auf die Bühne gebracht. Damit, wie mit der zeitgenössischen Kammeroper «Briefe an Gott», die thematisch das Phänomen «Massenselbstmord» zu ergründen sucht, hätte sicherlich auch Neubauten-Frontmann Blixa Bargeld etwas anfangen können.

www.sommerblut.net


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  Kölner Stadtanzeiger vom 17. September 2007
Kölner Stadtanzeiger vom 17. September 2007
 
  Auf der langen Reise zum Irgendwo
Zwischen Andacht und Performance: Die Kölner Musiknacht erfreute mit einem vielfältigen Programm

Zeitweise luden 25 Spielorte zugleich zu ihren Attraktionen.

VON GERHARD BAUER
 
  Der Tag strahlte noch hell, als die "Kölner MusikNacht" begann, und so brodelte es erst nur auf den Straßen und Plätzen. Daher reckten im Domforum wenige Neugierige ihre Hälse, und dies, obwohl es da bereits einen ersten, kaum überbietbaren Höhepunkt gab. Denn hier duettierte das kleinste und höchste Instrument mit dem größten und tiefsten, hier zwitscherten und zupften sich Blockflöte und Kontrabass die Pointen zu. Nadja Schubert und Sascha Delbrouck ist diese aparte Kombination zu danken, und der Erfolg, den das Duo seit seiner Gründung im Jahre 1996 zu genießen gewohnt ist, war auch im kleinen Kreise greifbar.

18 Uhr war die Stunde null der musikalischen Wanderung durch Köln, und schon die erste dieser auf jeweils drei Viertelstunden portionierten Etappen hatte es in sich. Da brauchte einen hurtigen Stiefel, wer nicht nach beschaulichem Verweilen, sondern nach voller Erfüllung strebte. Vom Domforum ging´s also ins Bechstein-Centrum, wo das Ensemble "tra i tempi" mit neuer Kammermusik Stille und Versenkung übte, von dort zu Vokalmusik von Bach und Brahms in die Antoniterkirche (Bach-Verein), von dort - aber da war ja schon die zweite Stunde des Musikmarathons angebrochen. Es wurde Zeit, einen Plan anzulegen, einen Plan zur Bewältigung des Angebots. Aber je später die Stunde, desto dichter das Programm, und wenn in der Hauptmusizierzeit 25 Spielorte pro Stunde zur Wahl standen, musste auch bedacht werden: Wie schnell werden Kopf, Ohr und Bein müde, verflacht die Aufnahme- und Erlebnisfähigkeit? Manch ein Besucher, man entnahm es Gesprächen am Rande, litt unter diesem Dilemma.

Der Geist war indes noch frisch, als eine kleine Runde durch drei Kirchen lockte - nach der Antoniterkirche, wo nur ein Stehplatz zu ergattern war, nach St. Peter und St. Andreas. Peter Bares, eine lebende Legende von alttestamentarischer Hoheit, ließ die Klänge der Avantgarde-Orgel explodieren und fluten, das "Forum Vocale Köln" exemplifizierte A-cappella-Musik von Josquin bis Messiaen.

Völlig andere Emotionen riefen Gruppen aus dem Iran und dem Irak im Sendesaal des WDR wach. Der in Köln schon gut bekannte Frauenchor "Buna" von Maryan Akhondy entlud, farbenprächtig gewandet wie stets, Fröhliches aus dem persischen Alltag, und das war ein Singen, Trommeln und Lachen, dass die Herzen vor Freude schier barsten. Und im Anschluss daran weitete das um den Sänger Saad Thamir gruppierte irakische Quartett "Lagash" die Freude an den mikrointervallischen Wundern asiatischer Musik noch beträchtlich.

Nichts lag für den Enthusiasten der "Kölner Musik Nacht" demzufolge näher, als seinen Horizont einschlägig zu bereichern: in der Musikhochschule (das Indische "Yatra") und in der Galerie Rachel Haferkamp (die Tanzimprovisation "SichtLaut"). An beiden Orten waren die Programme philosophisch verbrämt, wobei sich als Gemeinsamkeit der Ziele ein "Woher?" und ein "Wohin?" der Musik herauskristallisierte. So wird in "Yatra", was auf Deutsch Reise oder Pilgerfahrt heißt, ein Treffen im Irgendwo arrangiert, und weil die wichtigste Klangquelle das mit mehr als 60 Gongs ausgestattete Ensemble "Labyrinth" war, verlief die Reise in ihrer dröhnenden Wucht wahrlich spannend. In "Sichtlaut" hat der brasilianische Tänzer Geraldo Si für seine spontan anmutenden, aber sicher genau kalkulierten Soli faszinierende Figuren ersonnen; zwei Instrumentalisten folgten ihm mit all seinen Verschränkungen aufmerksam und sensibel.

Mittlerweile war es fast Mitternacht geworden, der Schritt wurde schleppend und träge der Verstand. Doch des Umstands, dass sich ein Kreis geschlossen hatte, wurde der Vagabund durchs nächtliche Köln immerhin noch erstaunt gewahr: Wie zu Beginn im Domforum, waren es auch bei Haferkamp die Flöte (Angelika Sheridan) und der Kontrabass (Peter Jaquemin), die den Ton angaben. Doch welch ein Unterschied im klingenden Detail, in der gedanklichen Absicht, im gemütsmäßigen Weiterwirken!

Aber noch war der schöne Abend nicht zu Ende. Denn als die Kölner am Ebertplatz, jeder für sich, die Unwägbarkeiten der KVB besangen, fiel eine vergnügte Gruppe aus Düsseldorf auf. Diese Leute erzählten, dass sie vom langweiligen Tag der offenen Tür im Opernhaus ihrer Heimatstadt zur MusikNacht beim lieben Nachbarn geflohen waren. Wenn das nicht das Tüpfelchen auf dem i für die Musikstadt Köln war!
 
 

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  Kölner Stadtanzeiger vom 01. Dezember 2005
Kölner Stadtanzeiger vom 01. Dezember 2005
 
  Freigeist mit Glück und Kraft


von SEBASTIAN ZÜGER, 01.12.05, 07:52h

Die große und die kleine Form, die Oper und der Rocksong: in beiden Elementen fühlt sich der Komponist und Musiker Peter K. Kühnel zu Hause.
 
 

Es war einmal, vor gar nicht allzu langer Zeit, inmitten Kölns ein unbekanntes Land, da lebte ein ungekrönter König. Sein Land erstreckte sich vom Eifelwall bis hinüber an ein paar ungenutzte Flachbauten im Schatten der mächtig aufragenden Gerichts- und Arbeitsamtsgebäude. Hier hätte der König leben können, glücklich und zufrieden bis an sein Ende. Doch eines Tages fiel ihm ein, dass es ihm an Untertanen mangele. Die Kunde war an sein Ohr gedrungen, ein Musiker suche eine Heimstatt für die Anfertigung einer Komposition. «Ich war 1998 aus Dresden nach Köln gekommen, um eine Oper für Markus Lüpertz zu schreiben», erzählt Peter K. Kühnel, eben jener Musiker. «Ich habe überall herumgefragt, und irgendwann erhielt ich einen Anruf. Ich bin sofort hin und war überrascht: ein völlig ungenutztes Gelände. Nur unter dem Vordach eines ehemaligen Bürogebäudes wohnte ein Penner. Er hatte mich angerufen.»

Der gut meinende Anrufer wurde von der Stadt vertrieben und musste sich ein neues Königreich suchen. Statt seiner zog Kühnel ein und in seinem Gefolge weitere Musiker, Handwerker und kleine Firmen. «Ich war der erste Mieter», sagt Kühnel und schlürft an seinem Instant-Capucchino aus der Studio-Küche. «Die Stadt wollte mich erst nicht aufs Gelände lassen. Aber nach längeren Verhandlungen hat es dann doch geklappt.»

Bild: Grönert
Peter K. Kühnel mit seinem Gongplay

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Bis 2001 schrieb der 55-jährige Multiinstrumentalist (unter anderem Gitarre, Sitar, Flöten aller Art, Asian Gongplay) an seinem Werk «Krematorium», das er nach Tagebuchaufzeichnungen des Düsseldorfer Kunstprofessors Lüpertz komponierte. Die Oper war nicht sein erstes großes Werk: 1995 etwa war mit rund 60 Mitwirkenden «Nietzsche», sein - so nennt er es selbst - «theatralisches multimediales Spektakulum», in Dresden aufgeführt worden. Und derzeit arbeitet er an einer zeitgenössischen Kammeroper mit dem Titel «Briefe an Gott», das thematisch das Phänomen Massenselbstmord zu ergründen sucht.

Das klingt morbide, ist es womöglich auch, aber Kühnel macht überhaupt nicht den Eindruck, als sei er sich und des Lebens überdrüssig. Warum auch? Er hat geschafft, wovon viele Musiker nur träumen: Er lebt von seiner Kunst, und das schon seit ein paar Jahrzehnten. Dabei begann seine Laufbahn unter erschwerten Bedingungen - zwangsläufig: in der DDR. «Ich komme aus der dortigen Jazz-Szene, habe Komposition und Gitarre studiert und später - noch zu DDR-Zeiten - in Bombay Sitar.» Wie das möglich war? Kühnel erklärt es so: «Die wollten mich eigentlich loswerden. Deshalb hatte ich 1988 plötzlich einen Pass für alle Zonen in der Hand.» Den nutzte er aus, kehrte aber - entgegen der Erwartungen der Machthaber - immer wieder zurück in seine einzig real existierende Heimat. «Westflucht war nie ein Thema für mich. Ich wollte nur künstlerisch arbeiten können ohne Einschränkung. Und das konnte ich ziemlich gut.»

Nach schlechten Erfahrungen mit dem Text-Lektorat, das sämtliche zu Veröffentlichung anstehenden Songtexte der heimischen Rockbands auf Staatstreue hin überprüfte, gründete Kühnel 1984 Yatra - und verzichtete fortan auf Texte. Das Bandkollektiv aus freien und festen Mitmusikern wie Ismail Tarlan (Dharabuka) und Mitbegründer komponiert und improvisiert im weitläufigen Kosmos der Weltmusik («Multivisionsmusik» nennt es Kühnel) und existiert bis heute, relativ unabhängig von Zeit und Raum. «Yatra ist überall», sagt Kühnel und meint das gar nicht so esoterisch, wie sich das anhören mag: «Yatra heißt übersetzt »Treffen an einem Ort«.» Ganz einfach.

Großprojekte wie «Krematorium», Shakespeare-Vertonungen und «Nietzsche» sind Kühnel wichtig, aber die «kleine Form» will er darüber nicht vergessen: «Konzerte geben, Platten aufnehmen.» Und vor allem: sich Zeit lassen bei der Vision, Natur und Technik in der Musik zu vereinen. «Wenn man was entwickeln will, braucht man Geduld», sagt Kühnel. «Manchmal muss man seine Kraft auf einen Punkt konzentrieren, wenn was entstehen soll.» Und manchmal braucht man einfach Glück. Zum Beispiel einen Anruf zur richtigen Zeit.

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Kölner Stadtanzeiger vom 16. Oktober 2004
Kölner Stadtanzeiger vom 16. Oktober 2004
 
  Wenn nichts klingt, wie es aussieht
Yatra zaubern höchst verblüffende Klänge
mit verblüffenden Instrumenten


VON SEBASTIAN ZÜGER, 16.10.04, 09:35h

Yatra nahmen ihre Zuhörer bei der «Klangprobe live» im Kulturbunker mit auf einen Trip: in ein Land, irgendwo zwischen hier, Indien und den Weiten des Weltalls.

Mülheim - Es ließe sich gar furchtbar viel erzählen über Yatra. Doch eigentlich ist aller Hintergrund unbedeutend, wenn die Musik nur ihren Zweck erfüllt: wenn sie berührt, beeindruckt, verführt. Bei dieser Ausgabe der «Klangprobe live» - der Konzertreihe, die der «Kölner Stadt-Anzeiger» in unregelmäßiger Regelmäßigkeit gemeinsam mit dem Kulturbunker Mülheim präsentiert - ist das ein bisschen anders. Dazu wirft schon allein der Bühnenaufbau viel zu viele Fragen auf. «Wow», sagt zum Beispiel Fotograf Max Grönert, der die «Klangprobe» seit Anbeginn mit seiner Kamera begleitet, und staunt angesichts der Unzahl unbekannter Instrumente, die die nicht eben mickrige Bühne des Kulturbunkers voll stellen. «Da werden doch heute mindestens 20 Leute beschäftigt sein.»

Irrtum: Es sind nur fünf, und nur vier davon stehen tatsächlich auf der Bühne. Inmitten des Publikums sitzt Tino Löwe am elektronischen Equipment: Mischpult, Effektgeräte, Sampler. Alles hochmodern und digital, doch diese eine unendlich nervende Eigenheit, die sich seit jeher schon durch die Evolution der Technik zieht, schlägt auch an diesem Abend wieder zu: Bandchef Peter Kühnel zupft gerade die ersten Töne aus seiner halbakustischen Gitarre, als der Sampler den Dienst einstellt. Sampler können ungeheuer schlaue Instrumente sein, modernen Orgeln gleich: Sie speichern kurze Klangstücke - etwa den Ton eines Klaviers oder den Strich einer Violine - und lassen sich über eine Klaviertastatur anspielen. So können ganze Orchester simuliert werden. Nicht allerdings eine runde Viertelstunde lang an diesem Abend. So lange dauert es, bis Löwe und Kühnel den Sampler überredet haben, doch noch mitzutun.

Bild: Grönert
Der Mann mit Hut ist Peter Kühnel, Bandleader von Yatra und Virtuose an einem eigenartigen Hybrid aus Gitarre und Bass. Norbert Jäger liefert dazu ausgefallene Percussion.

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Das Gelingen wird hörbar in einem tiefen, warmen Synthesizerklang. Er fundiert, belegt mit einem weiten Halleffekt den Raum, in den Yatra ihre Klangfragmente werfen wie Steine in ruhiges Wasser. Jetzt endlich wird klar, wozu all das Instrumentarium auf der Bühne dient. Norbert Jäger kniet vor einem schmalen mit Wasser gefüllten Behälter, umgeben von einer Schar von Mikrofonen. Er schlägt ein Becken und taucht den schwingenden Rand ein. Das Ergebnis ist verblüffend: Als habe jemand zeitgleich ein Band mitlaufen lassen, dass den Klang aufnimmt, abspielt und verlangsamt. Man kennt das von früher, als Kassettenrekorder noch Bänder fraßen.

Derweil steht Günter Janocha hinter seinem Schlagzeug und tupft gelegentlich mit wattierten Klöppeln auf rechteckige Metallscheiben, die in zwei Reihen von einem mannshohen Gestell baumeln. Die Geräusche, die dabei entstehen, widersprechen jeglicher Erwartung. Da ist offenbar wieder so eine digitale Wollmilchsau am Werk, ein Sampler also, denn statt blechernem Geschepper erklingen Pauken, Buschtrommeln und verwirrende perkussive Geräusche. Immerhin: Bei Isamil Tarlan glaubt man zu hören, was man sieht: Er spielt meist die Darabuka, eine anatolische Trommelvariante. Dazu improvisiert Peter Kühnel auf Bass und Gitarre - mal schnelle, dem Free Jazz entlehnte, virtuose Läufe, mal langsame, zarte, fast poppige Meoldien.

Yatra, das ist klar, ist ein Experiment, aber immerhin eines, das schon seit 20 Jahren läuft. Damals gründete Kühnel sein offenes Kollektiv rund um Görlitz, im «wilden Osten» also. Denn auch in der DDR gab es eine höchst aktive Szene, die sich vom Psychedelic-Rock von Pink Floyd und Gong oder Krautrockern wie Can, Tangerine Dream oder Amon Düül inspirieren ließen. Bekannteste Vertreter jener Ära im Osten Deutschlands dürfte die Stern Combo Meißen gewesen sein, zu deren Mitbegründern auch Norbert Jäger zählt.

Für den Aufritt von Yatra im Kulturbunker muss man all das nicht wissen. Wer mag und kann, erkennt die Reminiszenzen an die Hippie-Ära, an die indische Folklore und Brachial-Jazzer wie John Zorn auch so. Wem das egal ist, der lässt sich eben fallen in das ambienthafte Spiel, das sich bisweilen sprunghaft beschleunigt. Yatra machen es mit ihren meditativen Improvisationen nur Zuhörern einfach, die sich öffnen und darauf einlassen. Alle anderen streiken, wie der Sampler zu Konzertbeginn.

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Kölner Stadtanzeiger vom 08. Oktober 2004
Kölner Stadtanzeiger vom 08. Oktober 2004
  Töne, die von weit her kommen
VON PETER LIMBACH

Das Weltmusik-Ensemble Yatra um Peter Kühnel verbindet indische, arabische und westliche Sounds. Am Sonntag spielen sie bei der „Klangprobe Live“ im Kulturbunker.

Mülheim -„Yatra“ ist ein Wort aus dem Indischen und bedeutet unter anderem „Reise“, und „Zusammentreffen“. Peter Kühnel, Gründer und Chef des Kölner Ensembles Yatra, ist seit Jahrzehnten auf Reisen - durch die Weltgeschichte und durch die unterschiedlichen Klanglandschaften. Mit seinem Konzert an diesem Sonntag, 10. Oktober, 20 Uhr in der Reihe „Klangprobe Live“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“ feiert er 20 Jahre Yatra (Eintritt: fünf Euro). Akustische und elektrische Gitarren, Synthesizer-Gitarren, Sitar, Flöten, Percussion, die Darabuka, eine türkische Trommel, und eine Reihe weiterer Instrumente werden erklingen. Dazu gibt es Vocalisen zu hören, Gesang ohne Worte also. Indische, orientalische und angloamerikanische Einflüsse verbindet Kühnel zu einem Crossover der Kulturen, mal pulsierend, rhythmisch und durchaus tanzbar, mal beschaulich fließend. Ethno-Jazz nennt Kühnel, was er derzeit mit seinen Mitmusikanten Norbert Jäger (Tabla und Percussion), Günter Janocha (E-Drum und Percussion) und Tino Löwe (Programming und Mix) produziert. Verstärkt wird Yatra im Kulturbunker, Berliner Straße 20, durch Ismail Tarlan (Percussion) aus der Türkei.

Bis zum Mauer-Fall 1990 wirkte der 1949 geborenen Peter Kühnel von der DDR aus, als Mitglied der ersten Nina-Hagen-Band zum Beispiel. In Bombay studierte er 1988 klassische indische Musik. Zu den jüngeren Projekten des Wahlkölners gehören Theatermusiken, King Lear in Dresden etwa und die Oper „Krematorium“ für den Künstler Markus Lüppertz. „Die Welt wächst zusammen, die unerschöpfliche Vielfalt an Musizierpraktiken will ich nutzen“, sagt Peter Kühnel, „was daraus entsteht, soll Kopf, Bauch und Herz öffnen.“

In der Endlos-Reihe „Klangprobe Live“ stellen der „Kölner Stadt-Anzeiger“ und der Kulturbunker vielversprechende Bands und Solo-Künstler aus der Kölner Szene vor. Ob Rock, Pop, Punk, Folk, Jazz, Weltmusik, HipHop oder Elektronik - im Kulturbunker bekommen Talente eine Chance. Der „Stadt-Anzeiger“ berichtet in seinen „Quer durch Köln“-Ausgaben ausführlich über die Konzerte. Und die Auftritte sollen nicht nur musikalisch ein Gewinn für die Künstler sein. Vier Euro von jeder verkauften Karte bekommen die Musiker. Ein Euro geht an die Aktion „wir helfen“ des „Kölner-Stadt-Anzeiger“, die sich um benachteiligte Kinder und Jugendliche in Köln und Umgebung kümmert. Musiker, die bei der Klangprobe Live mitmachen möchten, melden sich mit einer E-Mail (bitte Rufnummer mit angeben).

www.ksta.de/klangprobe
Artikel online
www.kulturbunker-muelheim.de

Peter.Limbach@mds.de

 
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www.sachsenrock.info: Interview 20 Jahre YATRA (Köln, …)
01.10.2004
1
Was verbirgt sich hinter YATRA, welche Musiker sind im Augenblick beteiligt?


Hinter YATRA verbirgt sich ein seit dem Jahre 1984 existierendes Projekt mit Avantgarde- bzw. Multivisionsmusik. Peter K. Kühnel gründete damals im Osten Deutschlands eine Musiker- und Solistenvereinigung, deren musikalisches Schaffen seither unter wechselnden personellen Konstellationen von zeitloser Wirkung bleibt, die stimmungsvolle Bilder im Kopf des Zuhörers entstehen lassen und Fantasien freisetzen möchte. Globale ethnische Einflüsse werden verarbeitet, Naturinstrumente und moderne Electronic zusammengeführt. Das Wort YATRA stammt aus dem Indischen und bedeutet etwa „Reise, Pilgerfahrt, Zusammentreffen“ oder auch „Treffen an einem Ort“.

20 Jahre YATRA
20 Jahre YATRA, Peter K. Kühnel.

Verschiedene Instrumente und geschichtete Spähren, einzig mit der Synth-Guitar erzeugt, vermengen sich mit einem gewaltigen Percussions-Instrumentarium, einem asiatischen Gongplay und den verschiedensten Trommeln zu einem rhythmischen, streckenweise tranceartigen musikalischen Fluss. Das Wechselspiel von verschieden gestimmten acc-guitars, Flöten, Vokalisen-Gesängen und mittels e-drums aufbereiteter rhythmischer Grooves mit sanftem orientalischen und asiatischen Flair nimmt die Zuhörer ein ums andere Mal gefangen! Es existiert ein dramaturgischer „roter Faden“, der freilich den Künstlern individuelle Freiräume lässt, die intuitiv musikalisch ausgeformt werden. Dies erfordert eine wache Teilnahme der Beteiligten am Ablauf, macht jedes Konzert originär. Wir verwenden beispielsweise Skalen, die auf alte Kirchentonarten zurückgehen (u. a. Heinrich Schütz) sowie Bordun-Töne aus der indischen Musiktradition, worauf dann Melodien aufgebaut werden.

Derzeit arbeiten folgende Kollegen an diesem Projekt:
Peter K. Kühnel, Köln; sitar, acc-guitar, synth-guitar, rubab, flute, voc, percussion
Norbert Jäger, Meißen, u. a. einer der Gründer der Stern-Combo Meissen; tabla, percussion, electronic percussion
Günter Janocha, Leipzig; e-drum, percussion
Ismail Tarlan, Türkei; dharabuka

Diese illustre Gruppe von hochkarätigen Künstlern und Sound-Individualisten hat sich im Frühjahr 2004 neu gefunden. Wir proben derzeit intensiv, um uns auf eine Reihe von Konzerten in diesem Herbst vorzubereiten. Die musikalischen Inhalte haben sich unterdessen komplett geändert, wir arbeiten an vollkommen neuem Material.

20 Jahre YATRA
20 Jahre YATRA, Norbert Jäger, Günter Janocha, Ismail Tarlan

Zu den Besonderheiten des Angebots gehört die Tatsache, dass YATRA an speziellen Locations zur Aufführung gelangt bzw. auch nur dort die rechte Wirkung entfalten kann. Ein Projekt wie das unsere funktioniert nicht in herkömmlichen Mini-Clubs oder gar Discotheken. So sind wir beispielsweise in den Innenhöfen von Museen zu erleben oder ebenso in alten, stillgelegten Industriehallen. Sacrale Räume mit klassischer Bühnenkonstellation sind es, wonach wir suchen, um uns und die Zuhörer in alltagsferne Klang-Erlebnis-Welten zu entführen. Für die nahe Zukunft ist der Versuch angedacht, YATRA-Elemente mit der Techno-Szene zu koppeln, was zu gewiss reizvollen Synergien führen könnte. Ebenso überlegen wir, visuelle Elemente – Projektionen und dergleichen – zu integrieren.

Wobei anzumerken ist, dass es keiner speziellen Vorbildung bedarf, etwa intensiven Studiums der Geschichte diverser Mythologien, von Musik und Kunst, um YATRA zu verstehen: Jeder interessierter Zuhörer ist uns willkommen, wird „an die Hand genommen“ und in den Kosmos unserer Multivions-Musik „geleitet“, welcher verschiedenste Emotionen berührt, den heutzutage arbeitsteilig vielfältig in Angespruch genommenen Rezipienten wieder zu sich selber führt.

2
Der Person Peter K. Kühnel ist es maßgeblich zu verdanken, dass YATRA dereinst gegründet wurde und noch heute existiert. Peter, berichte bitte von wichtigen Stationen Deiner musikalischen Karriere.


Im Jahre 1969 begann ich mein Studium der Komposition und Gitarre an der „Hochschule für Musik Carl Maria von Weber“ in Dresden. 1972 schloss sich ein Studium innerhalb einer Spezialklasse für Jazz in Berlin an. Im Jahre 1975 spielte ich in der Nina-Hagen-Band, komponierte erste Filmmusiken. 1988, also noch vor der Wende, war es mir vergönnt, klassische indische Musik an der „Sangeet Research Academy“ in Bombay, Indien, zu studieren, bei Pandit Arvind Parikh und Raffat Khan; Studienreisen führten mich nach Mittelasien und Algerien. 1992 schuf ich die Bühnenmusik zu „King Lear“ am Staatsschauspiel Dresden. Im Jahre 1999 komponierte ich die Oper „Krematorium“ für Prof. Markus Lüpertz, dem Maler und Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie. Dies sind – wie gesagt – einige meiner Stationen der letzten Jahrzehnte.

3
Nennt bitte herausragende Auftritte der letzten Jahre.


Zu nennen sind das „YATRA-Comeback“-Eröffnungskonzert im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, anlässlich des Festivals „Rock The Integration“ (30 Jahre Worldmusic Made in Germany), wo wir quasi als einzige frühere „Ostband“ eingeladen waren; ebenso ein Konzert innerhalb der Reihe „Jazz in der Kammer“, Magdeburg – um zwei Ereignisse speziell der jüngeren Band-Geschichte anzusprechen. In zwanzig Jahren gab es selbstredent eine ganze Reihe bemerkenswerte Konzerte, welche aufzuzählen aber den Rahmen sprengen würde …

4
Welche Bedeutung hat das Internet für Euer Projekt?


Wir haben eine eigene Homepage, das ist in der Gegenwart unerlässlich. Die Inhalte der Site erfahren regelmäßige Pflege, wir bieten Termine, Texte und Bilder. Der YATRA-Begriff des Sich-Treffens an einem Ort, auch die Vorstellung von „Reise“ erfährt hierbei eine neue, gleichsam virtuelle Dimension.

YATRA im Internet: www.yatra-music.de

5
Gibt es Schallplatten bzw. CDs von YATRA?


Zu nennen sind:
Kleeblatt Nr. 16, Jazz Kaleidoskop; Diese Vinyl-LP erschien bei Amiga 1986, aufgenommen im Amiga-Studio in Berlin 1985
The Third Eye; Diese CD erschien 2000, sie ist die Vertonung des Buches „Das dritte Auge“ von Lobsang Rampa. Erzählt wird darin die Lebensgeschichte eines tibetischen Mönches.
Live-CD Comeback; Livemitschnitt des Eröffnungskonzerts „Rock The Integration“ im Haus der Kulturen der Welt (30 jahre Worlmusik – Made in Germany), im Jahre 2000
CDs Eartransport und Yatra
Info-CD 20 Jahre Yatra

6
Sagt bitte etwas zu Verhältnis von Studio-Arbeit und Live-Auftritten.


Ein Projekt wie das unsere bedarf schon eines erheblichen Vorbereitungsaufwands. Wir verbringen Tage damit, das Sound-Design zu entwickeln, Geräusch-Collagen zu kreieren, Grooves einzubauen, ein in sich stimmiges rhythmisches Gefüge zu definieren. Wir verwenden eine Trigger-Wand, die individuell mit Sounds belegbar und mithin sogar in der Lage ist, die Melodieführung zu übernehmen.

All das kostet eine Menge Zeit des Einrichtens, Tüftelns und Probierens; es bedarf der Bereitschaft, Ideen reifen zu lassen, immer wieder neu zu hinterfragen und fortzuentwickeln. Wir sind, um unseren ästhetischen Ansprüchen zu genügen, geradezu verpflichtet, an den neuesten technischen Entwicklungen dranzubleiben. Während wir in früheren Jahren ausschließlich akustisch instrumentierten, hat mit den Jahren natürlich die moderne Elektronik Einzug gehalten.

7
Gibt es im globalen Zusammenhang Musiker, deren Schaffen Ihr achtet?


Jan Garbarek ist zu nennen, ebenso John McLaughlin, der Percussionist Trilok Gurtu.

8
Nennt bitte einige Auftritte, die die nahe Zukunft bereithält.


Am 07.10.2004 spielen wir anlässlich des Internationalen Festivals Jazzmeile Erfurt im Erfurter Rathaus-Saal, am 08.10.2004 kann man uns im Dresdner Club „Passage“ erleben, am 10.10.2004 bestreiten wir ein vom Kölner Stadtanzeiger organisiertes Konzert in der Rhein-Metropole und am 17.12.2004, kurz vor Weihnachten, sind wir in der Agnes-Kirche, Altenburg, zu Gast.
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Rezension in der Sächsischen Zeitung vom 06. September 2004
Rezension von Wolfgang Zimmermann in der Sächsischen Zeitung vom 06. September 2004

Kölner Stadtanzeiger 13.Mai 2004
Kölner Stadtanzeiger Nr. 112 vom 13. Mai 2004
Zwischen
Opulenz und
Minimalismus

Sphärische Klänge erfüllten
die Luther-Kirche in der
Südstadt.


VON   P H I L I P P   W U R M

Innenstadt - Um die sphärischen Weltmusik-Klänge des Projekts Yatra live umzusetzen, bedurfte es eines Instrumenten-Parks, der so groß war, dass man sich bei seinem Anblick beinahe in einem Musikalienladen wähnte. Riesige Percussionaparate standen da, mehrere Gitarren, ein Gong, Flöten, ein Keyboard, eine Sitar. Yatra, ein 1984 in Dresden gegründetes Kollektiv, das sich indischen und orientalischen Spielweisen verschrieben hat, ist auf einen solchen Aufwand angewiesen - den verlangen nämlich seine ambitionierten Kompositionen.
   In der Lutherkirche zelebrierten die Yatra-Musiker einen zwischen Opulenz und Minimalismus schwankenden Auftritt, der die Zuschauer in ihren Bann nahm. Die Yatra'schen Entwürfe gefielen vor allem wegen ihres trance-artigen Flusses, der sich durch jedes Stück im Set seinen Weg bahnte. Dabei blieb jedoch viel Abwechslung im Spiel erhalten: Rhythmische Exzesse wechselten sich mit ruhigen, plätschernden Parts ab; fast schon poppig gespielte E-Gitarren-Soli mündeten in summende 

 

Keyboard-Flächen. Die ver- schiedenen ethnischen Einflüsse waren kaum mehr zu unterscheiden - sie vermengten sich vielmehr in einen multi- kulturellen musikalischen Flicken- teppich. Da macht der Name des Projekts eigentlich nur Sinn: Yatra bedeutet im Indischen so viel wie "Zusammentreffen".
   Die dreiköpfige Combo feiert in diesem Jahr ihren 20. Geburtstag. Das Konzert in Köln war Teil einer ausgedehnten Deutschland-Tour, die die Gruppe auch zu ihren Wurzeln zurückführt - nämlich in die ostdeutsche Heimat, wo Yatra zu DDR-Zeiten ein auffallend bunter Tupfer in der Musikszene war.
Kölner Stadtanzeiger 13.Mai 2004
Die Weltmusik-Combo Yatra in der Lutherkirche.BILD: WURM


Kölner Stadtanzeiger Nr. 112 vom 13. Mai 2004

Jazz in der Kammer (Kammerspiele Magdeburg)
Magdeburger Volksstimme vom 19. Februar 2001

DIE WELT.de
Das Ohr am Beat der Welt

Heimat ist überall: Das World-Music-Festival im Haus der Kulturen der Welt
Von ROMAN RHODE

Berlin - Wer bisher dachte, "Bantu" bezeichne eine afrikanische Sprachfamilie, darf sich die Augen reiben. Denn für das deutsch-nigerianische Quartett Bantu versteckt sich hinter den fünf Buchstaben ein ganzes Programm: "Brotherhood Alliance Navigating Towards Unity". Einigkeit auf dem Weg zur Einheit! Die vier Euroafrikaner aus Köln rühren Afrobeat, Highlife, Reggae und Kölsch-Rap zu einem musikalischen Eintopf an, den sie "Fufu" nennen - ein afrikanisches Grundnahrungsmittel. Und die verschiedensten Wege führen zur Einheit: Bantu konnte bereits zwei Top-Ten-Hits in Nigeria verbuchen und traten in der "Lindenstraße" auf.

Nouri Ben Redjeb, der künstlerische Leiter von "Rock the Integration", hat die Band deshalb auf das mit "World Music made in Germany" untertitelte Festival eingeladen. Weltmusik? "Es gab Zeiten", sagt Redjeb, "da konntest du auf Partys gehen und passend zum Nudelsalat kam eine Fata Morgana aus der Musikkonserve. Das waren die Dissidenten auf Kassette, der gemeinsame Nenner, auf den sich Ali und Aischa mit Karl-Heinz und Heidi einigen konnten. Damals brachte man die verschiedensten musikalischen Stile zusammen, ohne den Begriff Weltmusik zu verwenden."

Schon vor 30 Jahren hatte der "Krautrock" mit der Erkundung fremder Klänge begonnen. Und Gruppen wie Guru Guru, Embryo oder - in der DDR - Yatra Medita blickten sehnsüchtig nach Indien. Nicht zufällig steht das indische Wort "Yatra" für Reise, Pilgerfahrt, Zusammentreffen. Auslöser für diese deutsche Variante "progressiver" Musik war auch die Zusammenarbeit zwischen den Beatles und Ravi Shankar gewesen. Doch mit dem bloßen Klangreiz von Sitar und Tablas gab man sich nicht zufrieden.

Die Dissidenten - eine Abspaltung der Band Embryo - zog es für ein ganzes Jahr auf den indischen Subkontinent. Ihr erstes Album "Germanistan" ist 1980 im Palast des Maharadscha Bhalkrishna Bharti entstanden, unter Mitwirkung des Saxofonisten Charlie Mariano sowie des berühmten Karnataka College of Percussion.

"Diese erste Generation", so Nouri Ben Redjeb, "war noch ambitioniert. Ihr Ashram lag mitten auf der Bühne." Allerdings haben sich weder Embryo noch die Dissidenten auf Asien beschränkt. Der bunte Hippie-Bus von Embryo fuhr bis an den Rand der Sahara, um bodenständige Instrumentalisten zu gemeinsamen Sessions aufzuladen. Und der amerikanische Schriftsteller Paul Bowles vermittelte den Dissidenten den Sultanspalast von Tanger, wo sie ihr zweites Album "Sahara Elektrik" produzierten.

Entdeckungsreisen dieser Art haben schließlich nicht nur imaginäre Folklore hervorgebracht, sondern auch Musiker vorgestellt, die dem traditionellen, meist lokalen Rahmen ihrer Kultur noch eng verbunden waren. Zwei dieser Musiker, der Marokkaner El Houssaine Kili und der Algerier Hamid Baroudi, leben seit Jahren in Deutschland, wo sie auf der Basis von Gnawa und Rai inzwischen eigenen Popprojekten nachgehen. Für Nouri Ben Redjeb bilden sie die zweite, eingewanderte Generation der deutschen Weltmusik. Auf dem Festival werden beide Jahrgänge zu sehen sein, jeweils heute und morgen.

Am Sonntag präsentieren sich dann die Vertreter des weltmusikalischen Nachwuchses. Sie müssen keine Globetrotter mehr sein, um auf exotische Klänge zu stoßen; kulturelle Abwechslung gibt es längst daheim. Die 17 Hippies aus Berlin zum Beispiel umrunden die Erdkugel lieber in 80 Stilen als in 80 Tagen. So hat das quirlige Salonorchester, wie sich die Hippies selbst nennen, im Oktober 1997 den Weltrekord für die meisten Auftritte innerhalb von 24 Stunden gebrochen - möglich ist das nur in einer einzigen Stadt. Dafür reicht das instrumentale Repertoire von polnischen Walzern, bulgarischen Oros und schottischen Sumpftiraden bis hin zu texanischen Twosteps oder italienischer Filmmusik. Obwohl solche kulturelle Vielfalt in Deutschland mittlerweile selbstverständlich scheint, besitzt sie jedoch kaum Tradition.

Selbst als die Dissidenten mit "Fata Morgana" in Südeuropa einen Superhit landeten und dort bei ihren Konzerten die Fußballstadien füllten, wurde die Band zu Hause bestenfalls als Geheimtipp gehandelt. Immerhin zählen die Dissidenten zu den deutschen Exportschlagern der Musikindustrie. Und fallen damit unter die marktkonforme Bezeichnung "Weltmusik". "I hate World Music!", hat Ex-Talking-Head David Byrne unlängst in der "New York Times" verkündet. Sein Statement richtet sich gegen einen Pauschalbegriff für all das, was nicht unter die Sparte "westlich-angelsächsischer Pop" fällt. Nouri Ben Redjeb versteht sein Weltmusik-Festival allerdings eher als "Kunst für unsere Obdachlosigkeit".

Die Integration in der Musik schreitet sowieso fort. Warum also "Rock the Integration"? Um der Ghettoisierung entgegenzuwirken, die es vereinzelt noch gibt. Um junge Türken zu fördern, die sich - wie im Fall des süddeutschen Ensembles Fis Füz - nicht dem Hip-Hop verschrieben haben, sondern klassische türkische und arabische Musik zusammen mit deutschen Kollegen arrangieren. Oder um dem libanesischen Oud-Virtuosen Tarik Bitar mit seiner Gruppe eine größere Bühne zu bieten. In Berlin hat Bitar seine orientalische Tanzmusik bislang nur auf Hochzeiten oder in einschlägigen Lokalen gespielt. "Westlicher Pop", schreibt David Byrne, "ist Fast Food; es gibt weit aufregendere, kreativere Musik außerhalb dieser Tradition als in ihr." Festival-Leiter und Radio-Multikulti-Mitarbeiter Nouri Ben Redjeb hat das etwas anders formuliert: "Der Unterschied zwischen Currywurst und Merguez, der nordafrikanischen Lammwurst, ist zu einer kleinen Nuance geworden." Wenn das keinen Appetit weckt!

Artikel erschienen am 10.06.2000

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Rezesion zum Konzert im Haus der Kulturen der Welt in Berlin

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